Sternenstaub, Spekulatius und eine Kristallkugel
Ich gehöre zu den Menschen, die im September in einem Anflug von Weihnachtsgefühlen schon Lebkuchen kaufen…
Neben Ofenkäse sind diese meine zweite Sucht. Genauso wie ich es nicht lassen kann beim Essen Mandarinenschalen so nahe an einer Kerze zu zerdrücken, dass die ätherischen Öle Funken in der Flamme sprühen. Der Geruch ist so himmlisch. Ist die Kerze dann obendrein aus Bienenwachs bin ich im Weihnachtsrausch.
Wie komme ich jetzt darauf? Das auf den Fotos ist meine kleine Cousine und sie wurde mir zu meinem achten Geburtstag geschenkt. Heute weiß ich zwar, dass meine Tante und mein Onkel das nicht nur für mich gemacht haben, aber für mein kleines Ich war sie das größte Geschenk an diesem Tag. Es war damals wie jedes Jahr zu unserem gemeinsamen Geburtstag Hochsommer. Aber ich könnte wetten, dass ich zu jener Zeit bei brütender Hitze meine Rolf Zuckowski Weihnachtskasetten in Dauerschleife in meinem Rekorder abgespielt habe. Diesen Tick mit der verfrühten Weihnachtseuphorie hatte ich also schon immer. Damals hatte ich aber weder das Geld und vor allem nicht die Autorität meinen Eltern gegenüber mir zu dieser Jahreszeit Lebkuchen zu kaufen.
Sie kam also quasi in diese Welt als ich mal wieder außersaisonale Weihnachtsgefühle hatte. Und seitdem ich sie das erste Mal unbeholfen auf dem Arm hielt, klebt an ihr eine Portion Sternenstaub so fest wie der Schatten an Peter Pan nachdem Wendy ihn wieder angenäht hatte. Ich hatte als Kind immer imaginär die Taschen voll damit — man wusste ja nie wofür man ihn so gebrauchen konnte.
So kam es auch, dass sie mir zwei Jahre später mit ihrem Drachen von einer dänischen Sanddüne fast nach Nimmerland davon flog. Vier Jahre später zeichnete ich mit ihr an Weihnachten ein Bild mit Märchenschloss, Feenwald und Sternenhimmel. Ich verriet ihr, dass ich ein paar Elfen kenne, die es für sie verzaubern würden. Das geschah dann auch einen Tag später in meinem Zimmer in Form von Crayola-Glitzer-Kleber und Nachtleuchtfarbe. Das Staunen war groß, als die Sterne auf dem Bild plötzlich im Dunkeln leuchteten.
Wer jetzt mitgerechnet hat, merkt, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits zwölf war und meine Welt größtenteils durch Herr der Ringe geprägt wurde. Für diese Bücher stand ich sogar am Wochenende freiwillig um fünf Uhr in der Frühe auf, um bei einer Duftlampe mit ziemlich künstlich riechenden Kokosduftöl und Tee zu lesen.
Wir teilen heute noch den Hang zu Bücher mit eine Dash of Magic. Wir tanzten beide Ballett, wobei sie ausdauernder war als ich. Ich habe mich nach einem Stilbruch — ein drei Jahre andauernder Ausflug zur Karate — in der Akrobatik verloren. Und wäre ich nicht so vernünftig, wäre ich schon längst mit dem Nachtzirkus weggelaufen.
Sie schenkte mir letztes Jahr mit ihrer Familie zur Verteidigung meiner Doktorarbeit eine Kristallglaskugel für meine Fotografie. Mit dieser Kristallglaskugel saßen wir am Wochenende in einem Cafe. Ich aß Kuchen mit Spekulatius, der so weihnachtlich schmeckte, dass Frank Sinatra in meinem Kopf Jingle Bells sang. Sie aß Pancakes mit karamellisierten Nüssen. Wir tranken außerdem jeder eine Kanne Tee und wärmten uns für unser Shooting auf. Sie war das Mädchen, das als allerallererstes vor meiner Kamera stand — im Sonnenuntergang auf dem Feld neben meinem Kleingarten. Sie war der geduldigste Mensch der Welt und obwohl die Fotos technisch nicht perfekt waren, liebe ich sie noch immer. Diese Wochenende, knapp zwei Jahre später, zauberte Christian ein Make-up, das aus ihr die junge Reese Witherspoon herausholte. Wieso war mir diese Ähnlichkeit nicht schon vorher aufgefallen?
Wenig später befanden wir uns auf irgendeinem Feld. Die Sonne stand bereits tief hinter einer diesigen Schicht Wolken und der Wind fegte uns durch die Haare. Wir hatten vielleicht eine Dreiviertestunde bis uns die Hände abfroren. Wir konnten in dieser Situation nicht verhindern, dass etwas Sternenstaub von dem Mädchen in die Kugel strömte, welches damals von einer listigen Achtjährigen damit eingestäubt wurde.
“Moon dust in your lungs, stars in your eyes, you are a child of the cosmos, al ruler of the skies.”